Zentralbanken als Käufer letzter Instanz: Neue Normalität oder gefährlicher Präzedenzfall?

Zentralbanken als Käufer letzter Instanz: Neue Normalität oder gefährlicher Präzedenzfall?

Die Rolle der Zentralbanken hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend gewandelt. Einst als nüchterne Währungshüter und Stabilitätsanker respektiert, sind sie heute zu hektisch handelnden Feuerwehrleuten der Finanzmärkte geworden. Die Frage, die sich daher stellt, ist nicht nur technischer Natur, sondern auch zutiefst politisch und moralisch: Sollten Zentralbanken dauerhaft als Käufer letzter Instanz agieren – oder untergräbt das die Marktmechanismen, auf denen unsere kapitalistische Ordnung basiert?

Ein kurzer Blick zurück: Der Weg zur “Neuen Normalität”

Spätestens seit der globalen Finanzkrise 2008 ist klar: Wenn es brenzlig wird, springt die Zentralbank ein. Ob Federal Reserve, Europäische Zentralbank oder Bank of Japan – alle greifen beherzt zu, wenn Liquidität fehlt oder Ansteckungseffekte drohen. Was als Notfallmaßnahme begann, hat sich zunehmend zum Dauerzustand entwickelt.

Programme wie “Quantitative Easing” (QE), Anleihekaufprogramme und zuletzt die expansive Pandemiehilfe haben nicht nur Staatsanleihen, sondern auch Unternehmenspapiere und Hypothekenmärkte stabilisiert – oder verzerrt, je nach Perspektive. Die Zentralbank als Käufer letzter Instanz ist zur Normalität geworden. Die große Frage lautet nun: Ist diese Normalität tragfähig?

Was bedeutet “Käufer letzter Instanz” wirklich?

Traditionell verstehen Ökonomen unter einem Käufer letzter Instanz (Lender of Last Resort) ein Institut, das in Krisensituationen Liquidität bereitstellt, wenn keine andere Quelle verfügbar ist. Früher galt dies vornehmlich für Geschäftsbanken. Heute jedoch kaufen Zentralbanken aktiv Anleihen auf – nicht zur Refinanzierung, sondern zur Stabilisierung von Preisen und Erwartungen.

Diese Funktion geht weit über das klassische Mandat hinaus. Die Zentralbank wird zum aktiven Marktteilnehmer, mit immenser Marktmacht und – ironischerweise – ohne direkten Marktdruck. Sie bestimmt die Preise, zu denen sie „retten“ will.

Märkte ohne Risiko?

Ein Markt, in dem Verluste durch Käufe der Zentralbank aufgefangen werden, stellt ein Paradoxon dar. Verluste sind ein integraler Bestandteil effizienter Märkte. Ohne sie fehlen Anreize für verantwortungsvolles Handeln. Das Konzept der “Moral Hazard” ist hier zentral: Wer sich auf Rettung verlässt, agiert risikofreudiger als gut wäre. „Too big to fail“ wird zu „too connected to let it fall“.

Die unsichtbaren Kosten des Eingreifens

Man mag sagen: Wenn es wirkt, warum nicht? Doch die Kosten des massiven Eingreifens sind selten offensichtlich und oft langfristiger Natur.

  • Marktverzerrungen: Wenn Zentralbanken gezielt bestimmte Anleihen kaufen, vernachlässigen sie andere. So entstehen künstliche Preisniveaus und potenziell fehlerhafte Allokationen von Kapital.
  • Staatliche Abhängigkeit: Wenn Regierungen wissen, dass die Zentralbank ihre Schulden kaufen wird, verleitet das zu fiskalischer Disziplinlosigkeit. Die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik verschwimmt.
  • Schwächung der Glaubwürdigkeit: Eine Zentralbank, die Geldpolitik den Märkten anpasst, verliert an Unabhängigkeit – das höchste Gut eines Währungshüters. Vertrauen wird zum Wechselkurs-Fantasieprodukt.

Inflation als schlafender Rachegeist?

In den Jahren nach der Finanzkrise 2008 blieb die Inflation trotz geldpolitischer Expansion erstaunlich zahm. Das weckte das trügerische Gefühl, man könne beliebig Geld „drucken“. Doch spätestens mit den pandemiebedingten Eingriffen und der Energiepreiskrise 2022 kamen Inflationsängste mit Wucht zurück.

Zugegeben, nicht jede Inflation ist monetärer Natur. Doch ein übergroßer Zentralbank-Appetit auf Staatsanleihen kann inflationäre Erwartungen wecken. Und wie wir aus der Geschichte wissen (Stichwort: Weimarer Republik), ist verlorenes Vertrauen in Geld nur schwer zurückzugewinnen.

Argumente der Befürworter: Stabilität vor Ideologie?

Die Verteidiger der neuen Rolle argumentieren praxisnah: In einer Welt zerrütteter Lieferketten, geopolitischer Unsicherheiten und fragiler Schuldenberge seien Zentralbanken das einzige Instrumentarium, das rasch agieren kann. Finanzmärkte brauche eine letzte Instanz, die Schlimmeres verhindert – ähnlich dem Notarzt in der Unfallnacht.

Ein legitimer Punkt. Doch wollen wir dauerhaft in einem Notfallsystem leben? Wer ständig im Krisenmodus operiert, erkennt irgendwann die Normalität nicht mehr. Und wo Normen verblassen, leiden langfristige strategische Ziele.

Der Ausweg: Klarheit, Regeln, Begrenzung

Es wäre naiv zu fordern, Zentralbanken dürften nie wieder als Käufer letzter Instanz auftreten. In Ausnahmefällen kann es notwendig sein, Systemrisiken zu entschärfen. Aber: Es braucht Leitplanken.

  1. Transparenz: Die Kriterien für Eingreifen müssen klar und öffentlich bekannt sein.
  2. Temporäre Maßnahmen: Käufe dürfen nicht dauerhaft sein, sondern klar befristet und rückführbar.
  3. Demokratische Kontrolle: Wenn geldpolitisches Handeln fiskalische Wirkungen entfaltet, sollte zumindest parlamentarische Kontrolle gewährleistet sein.

Abschließende Gedanken eines alten Ökonomen

Wie viele meiner Kollegen habe ich einst an die Effizienz der Märkte geglaubt – und wurde durch die Praxis widerlegt. Dennoch bleibe ich dabei: Märkte funktionieren langfristig besser, wenn sie Verluste tragen und Lernen ermöglichen. Die Zentralbank als Käufer letzter Instanz erzeugt Trägheit, Blasen und politische Einflussnahme.

Wenn wir diesen Kurs fortsetzen, laufen wir Gefahr, die Marktwirtschaft unter einem Schleier pseudostabiler Geldpolitik zu ersticken. Zentralbanken sind keine Alleskönner, sondern Werkzeuge. Wenn man mit dem Hammer alles für einen Nagel hält, wird auch das Porzellan zertrümmert.

Oder, wie mein alter Professor schon sagte: „In der Geldpolitik ist das Vertrauen eine zerbrechliche Vase – und wir tanzen gerade einen sehr lauten Foxtrott.“

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Finanzwissenschaftler mit jahrzehntelanger Erfahrung in Forschung und Beratung. Spezialist für Steuerpolitik und Regulierung, stark analytisch denkend und engagiert für monetäre Stabilität. Veranstaltet Seminare zu Finanzethik und hostet Fachwebinare über Makrotrends.

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