
Internationale Regulierung: Braucht es eine globale Finanzaufsicht?
Internationale Regulierung: Braucht es eine globale Finanzaufsicht?
Ob Sie nun ein erfahrener Banker oder ein interessierter Laie sind – eines ist unübersehbar: Die Finanzmärkte unserer Welt sind heute enger vernetzt als je zuvor. Kapitalströme überqueren in Sekundenbruchteilen Kontinente, Unternehmen operieren global, und Finanzprodukte machen vor nationalen Grenzen keinen Halt. In diesem Zusammenhang stellt sich eine fundamentale Frage: Reicht nationale Regulierung noch aus? Oder brauchen wir ein gemeinsames Instrumentarium – eine globale Finanzaufsicht?
Ich, Prof. Dr. Klaus-Werner Schneider, Mathematiker mit einem Hang zur makroökonomischen Realitätsnähe und bekennender Pragmatiker, lade Sie ein, dieser Frage mit mir auf den Grund zu gehen. Sie werden feststellen: Es geht nicht nur um Regulation. Es geht um Vertrauen, Systemstabilität – und letztlich auch um Ihre Altersvorsorge.
Die Zeiten des „regulatory arbitrage“
Beginnen wir mit einem charmanten Begriff aus dem Vokabular der Finanzmärkte: „regulatory arbitrage“. Was steckt dahinter? Ganz einfach: Marktteilnehmer, die dort operieren, wo es die laxeste Aufsicht gibt. Ein wenig wie Schüler, die wissen, in welcher Klasse der Lehrer keine Hausaufgaben kontrolliert.
Diese Praxis funktioniert, weil nationale Finanzaufsicht oft in einem kompetitiven Spannungsverhältnis zu den Standorten steht, an denen sie agiert. Kein Finanzplatz – ob Frankfurt, London, Singapur oder New York – möchte durch übermäßige Regulierung Investitionen vertreiben. Doch genau das öffnet Tür und Tor für systemische Risiken.
Fallbeispiel: Die Finanzkrise 2008
Ein Lehrstück der internationalen Vernetzung war die Finanzkrise von 2008. Ausgehend vom US-Immobilienmarkt verbreiteten sich toxische Wertpapiere weltweit. Viele Institute hatten dieselben Risiken in ihren Bilanzen – ohne dass eine zentrale Instanz in der Lage gewesen wäre, die Gesamtrisikoposition zu überblicken. National reguliert, global gewirkt – mit katastrophalem Ergebnis.
Hier wurde offenbar: In einer globalisierten Finanzwelt ist eine rein nationale Aufsicht eine gefährliche Illusion.
Bereitschaft zur Zusammenarbeit: Was gibt es schon?
Zugegeben, die Idee einer internationalen Finanzaufsicht ist nicht neu. Es gibt Gremien und Organisationen, die bereits daran arbeiten, einen gewissen Grad an Harmonisierung zu erreichen:
- Financial Stability Board (FSB) – entwickelt Koordinierungsmechanismen für Finanzstabilität
- BIS (Bank for International Settlements) – „Zentralbank der Zentralbanken“, Sitz internationaler Ausschüsse
- Basel-Komitee – liefert aufsichtsrechtliche Standards wie Basel III
- International Monetary Fund (IMF) – beobachtet global wirtschaftliche und finanzielle Entwicklungen
Doch was diesen Institutionen fehlt, ist das Entscheidende: eine tatsächlich durchsetzbare Regulierungskompetenz. Ihre Empfehlungen sind meist unverbindlich, Umsetzung und Kontrolle liegen weiter bei den Nationalstaaten.
Warum eine echte globale Aufsicht wünschenswert wäre
Eine globale Finanzaufsicht würde nicht nur dazu beitragen, systemische Risiken zu minimieren. Sie hätte auch weitere Vorteile, die es wert sind, beleuchtet zu werden:
- Einheitliche Standards: Einheitlich regulierte Produkte schaffen Transparenz für Anleger und Unternehmer.
- Risikoerkennung in Echtzeit: Eine zentrale Stelle kann Wechselwirkungen schneller erkennen.
- Bessere Durchsetzbarkeit: Eine Institution mit Sanktionsmöglichkeiten gegenüber global agierenden Akteuren erhöht die Disziplin auf den Märkten.
- Stärkung des Vertrauens: Eine internationale Aufsicht kann dazu beitragen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in Finanzmärkte zu fördern.
Rationalisierend ließe sich behaupten: Würden wir heute eine globale Finanzwelt vom Reißbrett entwerfen, wir kämen gar nicht auf die Idee, sie ohne einen überstaatlichen Regulator zu lassen.
Doch wie realistisch ist das?
So wünschenswert eine globale Finanzaufsicht auch erscheint – sie ist kein Kinderspiel. Warum? Weil ihre Umsetzung an politischen Realitäten scheitert. Nationalstaaten geben ungern Kompetenzen ab, insbesondere wenn es um Kernbereiche ihrer Souveränität geht – und Finanzen sind einer davon.
Kein Wunder also, dass ein Projekt wie die europäische Bankenunion bereits mit mühsamem Kuratieren verbunden ist. Und Europa ist – trotz Brexit – ein vergleichsweise integrierter Raum. Die Vereinten Nationen haben keine rechtlich bindende Finanzhoheit. Und selbst die EU zögert, ihrer ESMA mehr Durchgriff gegenüber nationalen Behörden zuzusprechen.
Geopolitische Divergenzen
Hinzu kommen geopolitische Spannungen: China, die USA, Europa und andere Wirtschaftsräume vertreten unterschiedliche finanzpolitische Philosophien. Während etwa europäische Regulierer auf Stabilität und Sicherheit pochen, setzen US-Institutionen oft auf Wachstum, Innovation – und etwas mehr Eigenverantwortung.
Wer sollte in einem solchen Mosaik die Oberhoheit erhalten? Wer definiert Standards? Und: Wer garantiert, dass die Regeln nicht machtpolitisch missbraucht werden?
Ein pragmatischer Blick in die Zukunft
Der Ruf nach einer globalen Finanzaufsicht ist berechtigt, doch ihre vollständige Umsetzung scheint kurzfristig utopisch. Was also tun? Als graugewordener Pragmatiker schlage ich drei Dinge vor:
- Stärkung multilateraler Plattformen: Bestehende Gremien wie das FSB müssen mit klareren Mandaten und Überwachungskompetenzen ausgestattet werden.
- Regionale Vorbilder nutzen: Die Bankenunion der EU kann Blaupause für andere Wirtschaftsräume sein (ASEAN, Mercosur, Afrika).
- Transparenz und Technologie: Durch den Einsatz von KI und Datenanalyse können Regulierungslücken über Ländergrenzen hinweg besser identifiziert werden.
Und zuletzt – verzeihen Sie mir einen akademischen Schwank –: Vertrauen ersetzt keine Aufsicht. Aber gute Aufsicht schafft Vertrauen.
Fazit: Zwischen Vision und Realität
Wir leben in einer Welt, in der ein Tweet eines Bank-CEOs binnen Sekunden Märkte weltweit bewegt. In einer solchen Realität mit 200 nationalen Aufsichtsbehörden und Milliarden mobiler Kapitalströme nur auf nationale Regulierung zu setzen, ist wie Fahrradfahren ohne Lenker – riskant und kurzsichtig.
Eine echte globale Finanzaufsicht? Wünschenswert, aber politisch schwer durchsetzbar. Lösungen müssen deshalb pragmatisch, schrittweise und koordiniert erfolgen. Nur so können wir verhindern, dass die nächste globale Krise wieder im „blinden Fleck“ der Regulierung entsteht.
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