
Die neue EIOPA-Rolle: Regulierung zwischen Versicherung und Kapitalmarkt
Die neue EIOPA-Rolle: Regulierung zwischen Versicherung und Kapitalmarkt
Das Finanzsystem steht nie still. Besonders in einer Zeit zunehmender geopolitischer Unsicherheiten und digitaler Transformation rücken Institutionen wie die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) verstärkt in den Fokus. Als langjähriger Beobachter europäischer Finanzregulierung kann ich Ihnen versichern: die Rolle der EIOPA befindet sich im Wandel. Und dieser Wandel ist sowohl spannend als auch komplex.
Was ist EIOPA – und was macht sie eigentlich?
Die EIOPA wurde 2011 als Teil des Europäischen Finanzaufsichtssystems gegründet und hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Neben ihren „Schwestereinrichtungen“ – der EBA (für Banken) und der ESMA (für Wertpapiermärkte) – ist sie zuständig für die Überwachung und Koordinierung nationaler Aufsichtsbehörden im Versicherungsbereich, speziell im Hinblick auf Solvency II sowie die betriebliche Altersvorsorge.
Ursprünglich war die EIOPA eher ein technischer Berater. Doch in jüngster Zeit wurden ihre Kompetenzen – nahezu unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit – ausgeweitet. Dies hat erhebliche Implikationen für die Balance zwischen Versicherungsunternehmen, Kapitalmärkten und dem regulatorischen Rahmen.
Vom Statisten zur Schlüsselstelle: Die erweiterte Rolle der EIOPA
1. EIOPA als Schnittstelle zwischen Versicherung und Kapitalmarkt
Traditionell war der Versicherungssektor – reguliert durch Solvency II – eine Welt für sich: konservativ, vorsichtig, langfristig orientiert. Der Kapitalmarkt hingegen ist agil, risikofreudiger und volatil. Nun wird die EIOPA zur Brücke zwischen diesen beiden Welten.
Durch den steigenden Anteil von Versicherern als institutionelle Investoren am europäischen Kapitalmarkt – sie halten über 30 % der Unternehmensanleihen – wächst der Einfluss der Versicherungsbranche auf kapitalmarktpolitische Entwicklungen. Die EIOPA muss nun deutlich komplexere Aufgaben übernehmen, z. B.:
- Bewertung systemischer Risiken durch Versicherungsengagements in illiquiden Assets
- Einbindung von ESG-Kriterien in das Investment-Monitoring
- Risikoaufsicht grenzüberschreitender Kapitalmarktaktivitäten
2. Nachhaltigkeit und EIOPA – mehr als nur Berichterstattung
Kaum eine Institution bleibt im Kontext des Green Deal der EU unangetastet – auch die EIOPA nicht. Ihre Leitlinien zur Integration von Nachhaltigkeitsrisiken in das Risikomanagement von Versicherern haben inzwischen bindenden Charakter. Die EIOPA setzt Maßstäbe für die ESG-konforme Kapitalanlage.
Wegweisend sind dabei folgende Maßnahmen:
- Entwicklung von Stresstests unter Berücksichtigung von Klimarisiken
- Standardisierung von ESG-Berichterstattungen in der Versicherungswirtschaft
- Zusammenarbeit mit der ESMA für kohärente ESG-Offenlegung
Apropos Offenlegung: Falls Sie sich über unsere Mission bei Financeone informieren möchten, besuchen Sie gern unsere Über-uns-Seite.
Mehr Macht für EIOPA – aber auch mehr Verantwortung?
Im Dezember 2023 hat die Europäische Kommission eine überarbeitete Verordnung vorgeschlagen, welche der EIOPA weitreichendere Eingriffsrechte zugesteht. Besonders bei Krisensituationen – man denke an pandemiebedingte Kapitalmarkteinbrüche – soll die EIOPA proaktiv koordinieren und verbindliche Maßnahmen vorschreiben können. Ein Paradigmenwechsel!
Diese Entwicklung ist nicht unumstritten. Kritiker sehen die Gefahr einer „Überregulierung“ und argumentieren, der Markt müsse in gewissem Maße ineffizient bleiben dürfen. Als Professor für Finanzmarktregulierung plädiere ich jedoch für eine „kluge Zentralisierung“: Chaos entsteht dort, wo jeder seine eigene Suppe kocht. Einheitliche Standards – gepaart mit Verantwortungsbewusstsein – bilden die solide Grundlage eines stabilen Binnenmarkts.
Konfliktlinien und offene Fragen der neuen EIOPA-Rolle
1. Souveränität der nationalen Aufsichten
Besonders Deutschland mit seiner traditionsreichen BaFin sieht die Kompetenzerweiterung der EIOPA mit Skepsis. Die Jurisdiktion wird nicht gerne aus der Hand gegeben. Doch in einer stark vernetzten Finanzwelt sind bilaterale Rücksichten oft kontraproduktiv.
2. Harmonisierung versus Flexibilität
Ein überregulierter Markt kann Innovation abwürgen. Die Herausforderung liegt darin, sogenannte proportionale Aufsichtskonzepte zu entwerfen. Kleinen Versicherern darf nicht der regulatorische Sauerstoff entzogen werden – das ist schlicht ökonomisch unvernünftig.
3. Unklare Abgrenzung zur ESMA
Je stärker Versicherer in Kapitalmarktaktivitäten eingebunden sind, desto größer wird das Konfliktpotenzial zwischen EIOPA und ESMA. Welche Behörde hat bei europäischen Anleihefonds mit Versicherungsbeteiligung das letzte Wort? Hier bedarf es juristischer Klarheit und föderaler Einigung.
Ausblick: Regulierung als Wachstumsmotor?
Wenn Sie glauben, Regulierung sei eine Innovationsfalle, dann erlaube ich mir, Sie freundlich zu korrigieren. Eine gut ausgeführte Regulierung schafft Vertrauen, senkt langfristig die Kapitalkosten und ermöglicht es neuen Marktteilnehmern, sich in einem verlässlichen Umfeld zu etablieren.
Die EIOPA steht an einem Wendepunkt: Mit wachsenden Zuständigkeiten wandelt sie sich vom technischen Monitor zum aktiven Gestalter europäischer Finanzstruktur. Sie wird – ob gewollt oder nicht – ein Katalysator für Integration und Nachhaltigkeit.
Fazit: Zwischen Balanceakt und Verantwortung
Die neue Rolle der EIOPA ist ambivalent: zwischen Integration und Nationalstaatlichkeit, zwischen Kapitalmarktdynamik und Versicherungssicherheit, zwischen Regulierung und Liberalisierung. Genau darin liegt ihre gesellschaftliche Relevanz.
Ich empfehle Unternehmen, Investoren und Aufsichtsbehörden gleichermaßen: Beobachten Sie die EIOPA. Denn wie sie sich positioniert, hat unmittelbare Auswirkungen auf strategische Entscheidungen – ob bei Portfolioallokationen, Produktentwicklungen oder Risikomanagementprozessen. Regulierung ist kein Selbstzweck, sondern ein Hebel. Und in der richtigen Positionierung liegt die Kraft.
Bei Fragen zur EIOPA, Versicherungsregulierung oder Kapitalmarktrecht kontaktieren Sie uns gern über unsere Kontaktseite – wir stehen Ihnen mit Expertise und Weitsicht zur Verfügung.
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