
Finanztransaktionssteuer in Europa: Wirkungsanalyse und Alternativen
Finanztransaktionssteuer in Europa: Wirkungsanalyse und Alternativen
Die Diskussion um eine Finanztransaktionssteuer (FTT) ist in Europa seit Jahren präsent – und das vollkommen zu Recht. Als Professor für Finanzmarktregulierung muss ich mit einer gewissen Ironie feststellen: Die Finanzbranche hat uns 2008 die größte Wirtschaftskrise seit der Großen Depression beschert – und bezahlt hat sie dafür herzlich wenig. Da drängt sich eine Steuer auf spekulative Transaktionen geradezu auf, nicht wahr?
Doch die Realität ist, wie so oft, komplexer. In diesem Beitrag analysieren wir fundiert die Funktionsweise, Ziele und bisherigen Erfahrungen mit der FTT, insbesondere in europäischen Ländern. Abschließend werfen wir einen Blick auf mögliche Alternativen zur Finanztransaktionssteuer, deren Effektivität nicht nur fiskalisch, sondern auch sozialökonomisch von Bedeutung ist.
Ziele der Finanztransaktionssteuer
Im Kern verfolgt die FTT drei zentrale Ziele:
- Generierung von Staatseinnahmen: Die Steuer soll einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten – gerne auch zur Finanzierung gemeinschaftlicher Projekte wie dem EU-Budget.
- Eindämmung spekulativer Transaktionen: Durch einen minimalen Steuersatz sollen kurzfristige, volumengetriebene Handelsaktivitäten weniger attraktiv werden.
- Verursachergerechte Beteiligung des Finanzsektors: Das Prinzip der fiskalischen Gerechtigkeit – wer Profite im Hochfrequenzhandel oder mit derivativen Finanzinstrumenten erzielt, soll etwas an die Gesellschaft zurückgeben.
Allerdings – und dies ist aus wissenschaftlicher Sicht zentral – bleibt die empirische Beweislage zur Erreichung dieser Ziele bestenfalls gemischt. Wer unreflektiert auf populäre Forderungen hereinfällt, statt auf datenbasierte Analysen zu setzen, bewegt sich in gefährlichem Fahrwasser.
Europäische Initiativen: Flickenteppich statt Gemeinsamkeit
Die Europäische Union ist bekanntlich ein Ensemble vielfältiger Interessen und politischer Kulturen. Entsprechend unterschiedlich ist der Status der FTT in Europa:
- Frankreich erhebt seit 2012 eine FTT auf Aktien französischer Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung über 1 Milliarde Euro. Der Satz beträgt aktuell 0,3 % — mit mäßigem fiskalischem Ertrag.
- Italien führte 2013 eine ähnliche Steuer ein. Sie umfasst neben Aktien auch bestimmte Derivate, allerdings gibt es zahlreiche Ausnahmen.
- Ein europaweites Modell im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit unter elf Mitgliedstaaten scheiterte bislang an technischen und politischen Hürden.
Mitunter frage ich mich: Wenn der europäische Binnenmarkt einheitlich funktionieren soll – weshalb dann kein einheitlicher Rahmen für die FTT? Auch aus Sicht der Kapitalmarktintegration erscheint die derzeitige Situation inkohärent.
Frankreichs Modell: Wirkung begrenzt
Ein Blick auf die französische Variante zeigt: Trotz Einführung sank das gehandelte Volumen nicht signifikant. Die erwartete Stabilisierung des Marktes – Fehlanzeige. Vielmehr fanden Marktakteure Wege, die Steuer zu umgehen, beispielsweise durch Verlagerung des Handels ins Ausland.
Dazu kommt: Die Einnahmen blieben hinter den Erwartungen zurück. Ursprünglich mit rund 1 Mrd. Euro jährlich beziffert, lag der tatsächliche Ertrag deutlich darunter. Ein klassischer Fall fehlender Anreizkompatibilität, wenn man so will.
Kritik an der Finanztransaktionssteuer
Als Vertreter rationaler Finanzwissenschaft darf ich hier nüchtern einige der Schwächen der FTT zusammenfassen:
- Marktausweichverhalten: Finanzmärkte sind global. Kapital ist mobil. Eine nationale oder fragmentierte Steuer führt zu Handelsverschiebungen ins Ausland.
- Widerspruch zu Liquiditätszielen: Liquidität ist für die Funktionsfähigkeit von Märkten essenziell. Eine FTT kann Handelsvolumina reduzieren – mit der Folge erhöhter Spreads und sinkender Marktqualität.
- Belastung langfristiger Investoren: Pensionsfonds, Versicherungsträger oder Kleinanleger werden durch eine FTT ebenso getroffen wie Hochfrequenzhändler. Ein klassischer Fall von Zielverfehlung.
Und last but not least: Die Umsetzung ist technisch komplex. Wer glaubt, das ließe sich mit einem „Button in der Börsensoftware“ erledigen, dem empfehle ich eine Pflichtlektüre regulatorischer Prozesse der letzten 20 Jahre.
Alternativen zur Finanztransaktionssteuer
Wer aber A sagt, muss nicht zwingend B sagen – sondern kann G wie gescheit denken. Und somit werfen wir einen Blick auf mögliche Alternativen, um die gewünschte Regulierung und Besteuerung des Finanzmarkts zu erreichen.
1. Finanzaktivitätssteuer (FAT)
Statt Transaktionen zu besteuern, setzt die FAT am Umsatz oder Gewinn von Finanzunternehmen an. Vergleichbar mit der Mehrwertsteuer, jedoch branchenspezifisch.
- Vorteil: geringere Ausweichmöglichkeiten, da international standardisierter Ansatz möglich.
- Nachteil: komplexe Bemessungsgrundlage, Gefahr der Überwälzung auf Kunden.
2. Bankabgaben und Stabilitätsfonds
Ein gezielter Ansatz besteht in der Erhebung von Risikoprämien zur Finanzierung eines europäischen Stabilitätsmechanismus. Das Modell existiert bereits im Rahmen des Einheitlichen Abwicklungsfonds.
Statt pauschal zu besteuern, zahlen Institute anteilig zum eingegangenen Risiko. Das stärkt den Verursacherzusammenhang und erhöht die Resilienz des Systems.
3. Reform der Kapitalertragbesteuerung
Ein weiterer Hebel liegt in der Anpassung bestehender Steuern. Warum nicht die Kapitalertragsteuer progressiv gestalten? Wer mit Day Trading hohe Summen erzielt, könnte eine höhere Besteuerung erfahren als der nachhaltige ETF-Sparer.
Ein solcher Ansatz wäre administrativ umsetzbar und gesellschaftlich eher akzeptiert als eine pauschale FTT.
Fazit: Zwischen Steuerfantasie und Finanzrealität
Die Finanztransaktionssteuer ist in ihrer Idee kein schlechtes Instrument. Doch ihre praktische Umsetzung in Europa gleicht einem Haus mit schiefem Fundament. Während Politiker auf Einnahmen hoffen, realisiert die Wissenschaft, dass gut gemeint nicht gleich gut gemacht ist.
Als Professor für Finanzmarktregulierung plädiere ich für einen pragmatischen, datenbasierten Ansatz: Statt rein ideologisch motivierte Maßnahmen zu verfolgen, sollten wir die Wirksamkeit, Nebenwirkungen und faire Lastenverteilung kritisch prüfen.
Alternativen existieren – und sie sollten ernster genommen werden. Denn ein resilienter Finanzmarkt braucht nicht Symbolpolitik, sondern intelligente Architektur.
Falls Sie weitere Fragen zur FTT oder zu Regulierungsinstrumenten haben, besuchen Sie gern unsere Kontaktseite. Diskurs ist schließlich der erste Schritt zur klugen Regulierung.
Leave a Reply