Negative Zinssätze: Theoretische Begründung und empirische Kritik

Negative Zinssätze: Theoretische Begründung und empirische Kritik

Man stelle sich vor: Sie leihen Ihrer Bank 1.000 Euro und zahlen dafür auch noch Zinsen. Klingt absurd? Willkommen in der Welt der negativen Zinssätze. Was einst als ökonomische Kuriosität galt, ist heute in bestimmten Volkswirtschaften Realität. Aber was steckt wirklich dahinter? Tauchen Sie mit mir, Prof. Dr. Klaus-Werner Schneider, ein in die Untiefen monetärer Theorie, regulatorischer Entscheidungen und empirischer Evidenz rund um dieses bemerkenswerte Phänomen.

Theoretische Grundlagen negativer Zinssätze

Einführung: Was sind negative Zinssätze?

Im klassischen Sinne definiert der Zinssatz den Preis des Geldes – also den Preis, den ein Kreditnehmer an den Kreditgeber zahlt. Wenn dieser Preis unter null fällt, sprechen wir von einem negativen Zinssatz. Das bedeutet: Der Sparer zahlt dafür, Geld aufzubewahren, anstatt dafür belohnt zu werden. Am häufigsten begegnen uns negative Zinssätze in zwei Ausprägungen:

  • Einlagezinsen der Zentralbanken: Vor allem die Europäische Zentralbank (EZB) hat mit negativen Einlagezinsen gearbeitet, um Banken zum Verleihen von Geld zu bewegen.
  • Staatsanleihen mit negativer Rendite: Anleger akzeptieren hier geringere Rückzahlungen als ursprünglich investiert – meist aus Mangel an Alternativen oder zur Risikominimierung.

Ökonomische Rechtfertigungen

Die Idee hinter negativen Zinssätzen ist keineswegs neu. Der Ökonom Silvio Gesell schlug in den 1910er Jahren eine sogenannte “umlaufgesicherte Währung” vor, bei der Geld mit der Zeit an Wert verliert, um Konsum und Investitionen anzuregen. Auch John Maynard Keynes spielte mit ähnlichen Konzepten.

Im Zentrum steht der Versuch der Zentralbanken, Deflationsrisiken zu begegnen und die Nachfrage zu stimulieren, wenn andere Prozesse wie die Senkung des Leitzinses ausgeschöpft sind – eine Phase, die wir auch als “Zero Lower Bound” bezeichnen.

Der negative Zinssatz als geldpolitisches Instrument

In der Realität haben vor allem die Europäische Zentralbank, die Schweizerische Nationalbank und die Bank of Japan in den letzten Jahren Negativzinsen eingeführt. Ziel war es, den Kreditfluss aufrechtzuerhalten, Investitionen anzukurbeln und die Inflationsziele zu erreichen. Soweit die Theorie. Doch wie sieht die Praxis aus?

Empirische Kritik und Folgen in der realen Welt

Wirkung auf Banken und Finanzmärkte

Banken sind ein zentrales Glied in der Transmission geldpolitischer Maßnahmen. Doch negative Zinssätze setzen gerade sie unter Druck. Warum? Weil ihre traditionelle Geschäftsgrundlage – Geld billig aufnehmen und teurer verleihen – schwerer wird, je negativer die Einlagezinsen werden. Viele Institute konnten negative Zinsen nicht vollständig an die Kunden weitergeben, was ihre Margen belastete.

Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zeigt, dass viele Banken ihre Kreditvergabe nicht signifikant erhöhten, trotz negativer Einlagezinsen. Zudem kam es zu riskanteren Anlageformen, um die Rendite zu erhöhen – ein klassisches Beispiel für das sogenannte “Search for Yield”.

Nebenwirkungen auf das Sparverhalten

Wenn Sparer feststellen, dass ihr Guthaben auf der Bank schrumpft, verändert das ihr Verhalten. Die intuitive Reaktion: mehr sparen, um die Verluste auszugleichen. Genau das Gegenteil dessen, was die Zentralbank erreichen wollte. Eine ebenfalls ironische Wendung: Bargeld wird plötzlich attraktiver.

In Ländern wie Deutschland oder der Schweiz wurde der Trend spürbar: Schließfächer in Banken waren zeitweise ausgebucht und Tresorverkäufe stiegen. Die monetäre Evolution mündete in archaischer Lagerhaltung. Willkommen im 21. Jahrhundert!

Verzerrung von Kapitalallokation und Asset-Blasen

Dauerhaft niedrige oder negative Zinssätze führen zu einer fundamentalen Marktverzerrung. Investoren werden in Aktien, Immobilien und alternative Anlagen gedrängt – nicht unbedingt wegen ihrer Qualität, sondern mangels Alternativen. Das erhöht die Gefahr spekulativer Blasen.

Zudem profitieren Großunternehmen mit guter Bonität überproportional, da sie sich extrem günstig refinanzieren können, während kleinere Unternehmen weiterhin Schwierigkeiten beim Zugang zu Kapital haben. Das steigert systemische Ungleichgewichte in den Kapitalmärkten.

Regulierungspolitische Implikationen

Unbeabsichtigte Verwerfungen

Eine langfristige Politik negativer Zinsen birgt Risiken für die Geldpolitik selbst. Die Glaubwürdigkeit der Zentralbank steht auf dem Spiel. Wenn Marktteilnehmer an der Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen zweifeln, verliert die Notenbank ihr wichtigstes Gut: Vertrauen.

Gleichzeitig geraten Versicherungen und Pensionskassen unter Druck. Ihre kalkulierten Renditen, auf denen langfristige Pensionszusagen beruhen, lassen sich bei Negativzinsen schwer realisieren – was wiederum die Altersversorgung ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdet.

Mögliche Auswege und Alternativen

  1. Fiskalpolitik statt Geldpolitik: Öffentliche Investitionen können in kritischen Phasen effektiver wirken als das Drehen am Zinssatz.
  2. Digitales Zentralbankgeld: Schaffung neuer Instrumente zur Steuerung der Geldmenge, unabhängig vom Geschäftsbankenmodell.
  3. Rückkehr zur Neutralitätsgrenze: Eine kontrollierte Normalisierung der Geldpolitik kann langfristig Vertrauen und Stabilität fördern.

Fazit: Eine Politik mit mehr Schatten als Licht

Negative Zinssätze sind kein Allheilmittel. Zwar lassen sie sich theoretisch begründen, doch in der empirischen Praxis offenbaren sich gravierende Schwächen. Die ursprüngliche Intention – wirtschaftliche Stimulierung – läuft Gefahr, durch unerwünschte Nebenwirkungen neutralisiert oder gar konterkariert zu werden.

Für Politik, Aufsichtsbehörden und Finanzmarktakteure gilt es, aus diesen Erfahrungen zu lernen. Kurzfristige liquiditätspolitische Effekte dürfen die langfristige Systemstabilität nicht gefährden. Am Ende bleibt die ökonomische Wahrheit, und wie so oft lautet sie: Es gibt kein kostenloses Mittagessen – auch nicht, wenn man dafür Zinsen bezahlt.

Weitere Einblicke, Hintergründe und persönliche Einschätzungen von mir finden Sie auf unserer Über uns-Seite oder treten Sie über Kontakt in Austausch mit uns. Bleiben Sie informiert, bleiben Sie kritisch – und behalten Sie Ihre Bargeldreserven im Blick!

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Finanzwissenschaftler mit jahrzehntelanger Erfahrung in Forschung und Beratung. Spezialist für Steuerpolitik und Regulierung, stark analytisch denkend und engagiert für monetäre Stabilität. Veranstaltet Seminare zu Finanzethik und hostet Fachwebinare über Makrotrends.

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