Systemische Korrelationen: Wie gleich ticken globale Finanzhäuser?

Systemische Korrelationen: Wie gleich ticken globale Finanzhäuser?

In einer Welt, die zunehmend synchronisiert wird, stellt sich eine zentrale Frage für Ökonomen, Regulierer und Anleger gleichermaßen: Wie stark sind die systemischen Korrelationen zwischen globalen Finanzhäusern? Oder einfacher formuliert – wenn in New York die Wall Street hustet, bekommt dann Frankfurt eine Lungenentzündung?

Prof. Dr. Klaus-Werner Schneider nimmt Sie mit auf eine erkenntnisreiche, fundierte und nicht ohne feinen Zynismus gewürzte Reise durch die systemischen Verflechtungen internationaler Finanzinstitutionen – zwischen algorithmischer Vernunft und menschlicher Gier.

Was sind systemische Korrelationen überhaupt?

Der Begriff „systemische Korrelation“ beschreibt in unserem Kontext die Wechselseitigkeit von Risiken und Reaktionen innerhalb des Finanzsystems. Es geht also darum, wie stark die Aktionen einzelner Akteure (Banken, Vermögensverwalter, Versicherer usw.) Auswirkungen auf andere haben – direkt oder indirekt.

Stellen Sie sich das System vor wie ein altes Schweizer Uhrwerk: Wenn ein Zahnrad klemmt, gerät das gesamte Uhrwerk ins Stocken. Und wie viele von uns wissen: Schweizer Präzision ist gefragt – besonders, wenn Billionen von Euro, Dollar oder Yen auf dem Spiel stehen.

Direkte vs. indirekte Korrelationen

  • Direkte Korrelation: Zwei Finanzhäuser halten wechselseitig Anteile oder sind gemeinsam in einem Konsortium investiert.
  • Indirekte Korrelation: Beide agieren am selben Marktsegment – z. B. Strukturierte Hypothekenpapiere – und reagieren daher ähnlich auf externe Schocks.

Der Dominoeffekt: Lernen aus der Finanzkrise 2008

Kaum ein Ereignis demonstrierte die Gefährlichkeit systemischer Korrelationen so eindrucksvoll wie die Finanzkrise von 2008. Als Lehman Brothers fiel, fiel nicht nur eine Bank. Es fiel das Vertrauen in das System, das in trügerischer Sicherheit miteinander verzahnt war – vom Hedgefonds auf den Cayman Islands bis zur Sparkasse in Bayern.

Die Lehren daraus sind klar:

  1. Verflechtungen müssen transparent werden.
  2. Systemrelevante Akteure bedürfen gesonderter Regulierung.
  3. Globale Aufsicht ist notwendig – trotz nationalstaatlicher Egoismen.

Und doch: Die Mechanismen, die damals zur Krise führten, sind keineswegs verschwunden. Sie sind – wie alle potenziellen Gefahren – subtiler geworden. Auch 2024 pulsiert das globale Finanzsystem wie ein überzuckertes Herz – bereit zum Flimmern.

Global agierende Institute – unterschiedliche Gesichter, gleiche DNA?

Standardisierte Geschäftsmodelle

Ob Goldman Sachs in New York, BNP Paribas in Paris oder Deutsche Bank in Frankfurt – global agierende Finanzhäuser ähneln sich in ihren Geschäftsmodellen frappierend. Der klassische Dreiklang:

  • Investmentbanking mit Fokus auf M&A, Derivate und Handel
  • Vermögensverwaltung für Very High Net Worth Individuals (kurz: VHNWI)
  • Privatkundenbereiche mit digitaler Transformation

Während ihre Logos und Vorstände sich unterscheiden, sind die algorithmischen Systeme, Benchmarks, Risikoapparate und Strategien oft erstaunlich homogen. Man könnte sagen: Das Gehirn ist unterschiedlich frisiert, denkt aber gleich.

Stressreaktionen auf Marktimpulse

Faszinierend ist, dass diese globale Homogenität auch zu ähnlichen Stressreaktionen führt. Plötzliche Zinsänderungen der Fed? Ein Abschwung in China? Ein geopolitischer Schock in Nahost?

In den meisten Fällen folgt auf solche Trigger:

  1. Ein blitzschneller Abverkauf volatiler Assets
  2. Risikovermeidung durch Algorithmus-gesteuerte Modelle
  3. Liquiditätssicherung durch Umschichtung in „sichere Häfen“ (häufig US-Staatsanleihen oder Gold)

So funktioniert ein globaler Reflexbogen – ganz ohne zentralnervöses System, aber mit zentralisierter Risikowahrnehmung.

Die Rolle technischer Systeme: Wenn Maschinen mit Maschinen handeln

Algorithmen und quantitative Modelle dominieren heute jeden ernstzunehmenden Handelsplatz. Besonders problematisch wird dies, wenn unterschiedliche Institute ähnlich programmierte Systeme nutzen – etwa zur Risikoberechnung (VaR) oder Reaktionssteuerung bei Kursverlusten.

Flash-Crashes und Korrelationstsunamis

Wenn also ein Markt crasht, reagieren zahlreiche Institute gleichzeitig – nicht aus Panik, sondern aus Programm. Dies nennt sich dann – ganz technisch-lyrisch – ein „Flash Crash“.

Beispiele gefällig?

  • Mai 2010: Dow Jones stürzt innerhalb von 5 Minuten um 1.000 Punkte ab.
  • Oktober 2016: Pfund stürzt im asiatischen Handel 10 % – vermutlich ausgelöst durch algorithmischen Handel.

Systemische Korrelationen sind also nicht nur ökonomisch, sondern zunehmend technisch codiert.

Systemische Risikokonzentrationen – was sagt die Regulierung?

Basel III und IV – Rahmenwerke mit Zähnen?

Die internationalen Regulierungsstandards wie Basel III (und demnächst Basel IV) setzen Grenzen für Risikokonzentrationen, Liquiditätsdeckungen und Eigenkapitalanforderungen. Doch ihre Effektivität ist streitbar. In der Praxis zeigen sich Lücken:

  • Viele Risiken werden bilanziell ausgelagert (Stichwort: Zweckgesellschaften)
  • Regulierungslücken zwischen nationalen Behörden
  • Fehlende Kontrolle über Schattenbanken

Die Rolle der EZB, der FED und der BIZ

Institutionen wie die Europäische Zentralbank (EZB), die US-Notenbank (FED) und die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) arbeiten intensiv an Indikatoren für systemische Risiken. Dazu gehören unter anderem:

  • Der Global Systemically Important Institutions Index (G-SIB)
  • Stressszenarien-Simulationen auf Makroebene
  • Monitoring des Schattenbankensektors

Aber auch hier ist der Wissenschaftler geneigt zu fragen: Reichen diese Maßnahmen aus – oder sind sie der sprichwörtliche Sicherheitsgurt in einem abstürzenden Flugzeug?

Sind systemische Korrelationen ein Naturgesetz?

Systemische Korrelationen werden häufig als gegeben hingenommen – quasi als Naturgesetz der Finanzmärkte. Doch dahinter steht ein präzise konstruiertes Netzwerk aus Ähnlichkeiten, Angleichungen und algorithmischen Parallelwelten.

Zugleich wird häufig verkannt, dass Homogenität zwar Effizienz schafft, aber auch Verletzlichkeit. Vielfalt – bei Geschäftsmodellen, bei Reaktionsmechanismen, bei technischen Systemen – könnte das Nervensystem der globalen Finanzmärkte resistenter machen.

Fazit: Gleich getaktet, gemeinsam gefährdet

Globale Finanzhäuser ticken immer ähnlicher – in ihren Produkten, Reaktionsmustern und Systemarchitekturen. Diese systemische Gleichschaltung erhöht die gemeinsame Verwundbarkeit. Ein klemmendes Rädchen in Tokio kann binnen Sekunden Londons Börse lahmlegen.

Für Regulierer, Aufseher und Investoren bedeutet das: Mut zur Diversifikation, glasklare Transparenz und ein wachsames Auge auf neue Technologien. Denn wo viele Zahnräder gleich laufen, ist der nächste Systemfehler oft nur einen Kurssturz entfernt.

Weiterführende Informationen

Author photo
Publication date:
Finanzwissenschaftler mit jahrzehntelanger Erfahrung in Forschung und Beratung. Spezialist für Steuerpolitik und Regulierung, stark analytisch denkend und engagiert für monetäre Stabilität. Veranstaltet Seminare zu Finanzethik und hostet Fachwebinare über Makrotrends.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *