
Verbriefung 2.0: Comeback eines umstrittenen Instruments?
Verbriefung 2.0: Comeback eines umstrittenen Instruments?
Die Schlagzeilen der letzten Monate lassen aufhorchen: „Verbriefungen erleben Renaissance“, „Securitization is back“, oder ganz unverblümt: „Verbriefung 2.0 – jetzt aber richtig!“. Wer dabei nicht sofort ein mulmiges Gefühl in der Magengegend bekommt, war vermutlich 2008 noch im Studium oder hat nie einen Regulierungstext freiwillig gelesen. Doch was steckt wirklich hinter dem Begriff Verbriefung 2.0 – und ist diese Rückkehr des einstigen Probleminstruments ein Fortschritt oder bloß ein Déjà-vu mit neuem Anstrich?
Eine kleine Geschichte der Verbriefung
Bevor wir zu viel spekulieren, ein kurzer Rückblick (versprochen, nicht langweilig – zumindest aus Sicht eines Finanzrechtsprofessors): Verbriefungen wurden ursprünglich eingeführt, um Banken von illiquiden Krediten zu entlasten. Ein Kredit – zum Beispiel ein Hypothekendarlehen – wird in ein Wertpapier umgewandelt, „verbrieft“ also, und an Investoren verkauft. Auf dem Papier eine Win-win-Situation: Die Bank bekommt frisches Kapital, der Investor erhält Zinszahlungen – was kann da schon schiefgehen?
Nun, wie sich 2007/2008 zeigte: eine ganze Menge. Die berühmten „Subprime“-Hypotheken, gebündelt in undurchsichtigen Wertpapierkonstrukten, führten zur schwersten Finanzkrise der Nachkriegszeit. Die Kritik folgte auf dem Fuße: mangelnde Transparenz, Interessenkonflikte bei Ratingagenturen, fehlende regulatorische Vorgaben. Die Verbriefung geriet in Verruf – zurecht.
Was ist neu bei Verbriefung 2.0?
Gut eineinhalb Jahrzehnte später nun die Wiedergeburt – diesmal allerdings unter strengeren Regeln und mit europäischer Handschrift. Die EU hat mit der Verordnung (EU) 2017/2402 die Sekundärmarktregeln für Verbriefungen verschärft und gleichzeitig den Begriff der STS-Verbriefung (Simple, Transparent, Standardised) eingeführt. STS-Verbriefungen sollen gut strukturiert, verständlich und – jawohl – vertrauenswürdig sein.
Diese Verbriefung 2.0 unterscheidet sich also in mehreren entscheidenden Punkten von ihrer Vorgängerin:
- Transparenz: Herkunft, Struktur und Risiken der zugrundeliegenden Aktiva müssen offengelegt werden;
- Standardisierung: Einheitliche Kriterien erleichtern die Vergleichbarkeit;
- Haftung und Risikobeteiligung: Originatoren müssen einen Teil der Risiken selbst tragen (mindestens 5% Retention);
- Aufsicht: Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) sowie nationale Behörden kontrollieren intensiv.
Ein bisschen Vertrauen, bitte
Die EU setzt mit der neuen Verbriefungsregulierung ein Zeichen: Effektive Kapitalmarktfinanzierung ist möglich – aber nur mit Disziplin und Übersicht. Ziel ist es, verbriefte Produkte erneut investierbar zu machen, insbesondere für institutionelle Anleger wie Versicherungen oder Pensionskassen. Diese suchen händeringend nach renditeträchtigen Anlagen in einem Umfeld, das von Nullzinsen und regulatorischem Kapitaldruck geprägt ist.
Auch die Banken profitieren: Durch Verbriefungen wird bilanzieller Spielraum geschaffen, der wiederum neue Kreditvergaben ermöglicht – insbesondere an kleine und mittlere Unternehmen (KMU), wo sonst häufig Finanzierungslücken klaffen.
Verbriefung: Sündenfall oder modernes Finanzinstrument?
Kritiker bleiben jedoch skeptisch – und das nicht zu Unrecht. Die grundsätzlichen Probleme der Verbriefung bleiben: Komplexität, Informationsasymmetrien, und institutionelle Interessenkonflikte sind auch in der neuen Version nicht per Knopfdruck verschwunden. Wenn ein Instrument einst schief gegangen ist, reicht es nicht, ihm einen neuen Namen zu geben oder die Verpackung glänzender zu machen. Es braucht Überwachung, Institutionen mit Durchgriffsrechten – und eine Kapitalmarktkultur, die Verantwortungsbewusstsein fördert.
Ein weiterer kritischer Punkt ist die Frage nach der Nachhaltigkeit. Die EU-Taxonomie und ESG-Kriterien gewinnen auch im Verbriefungsmarkt an Bedeutung. Doch wie soll ein Investor ökologisch oder sozial „nachhaltige“ Asset-Backed Securities (ABS) erkennen, wenn bereits der erste Layer – die Kreditvergabe – nicht auf Nachhaltigkeit geprüft wird? Hier klafft noch eine Regulierungslücke, die dringend gestopft werden muss.
Neue Chancen durch Digitalisierung und Blockchain
Spannend wird die Zukunft der Verbriefung durch die technologische Dimension: digitale Verbriefungen mittels Blockchain-Technologie stehen in den Startlöchern. Sie versprechen mehr Transparenz, schnellere Abwicklung und niedrigere Transaktionskosten. Smarte Verträge könnten etwa automatisch Zins- oder Tilgungszahlungen abwickeln, Informationen in Echtzeit bereitstellen und Compliance-Vorgaben „on chain“ garantieren.
Doch – Sie ahnen es – auch hier gilt: eins nach dem anderen. Die technische Umsetzung ist komplex, die rechtlichen Vorgaben in vielen Mitgliedsstaaten noch unklar, und das Vertrauen potenzieller Investoren hält sich derzeit in überschaubaren Grenzen.
Fazit: Ist das Comeback gerechtfertigt?
Die Verbriefung ist zurück – in regulierterer, kontrollierterer und transparenterer Form. Ob sie damit ihren schlechten Ruf abschütteln kann, bleibt abzuwarten. Es braucht mehr als nur neue Verordnungen: Vertrauen entsteht durch langfristige Erfolge, das Ausbleiben neuer Skandale – und ja, auch durch eine neue Generation von Finanzmarktteilnehmern, die sowohl Technik als auch Verantwortung verstehen.
Verbriefung 2.0 ist kein Allheilmittel, aber – richtig angewandt – ein wertvolles Finanzinstrument, das Effizienz, Liquidität und Risikomanagement verbessern kann. Und vielleicht, ganz vielleicht, schafft sie es, ihren Platz im modernen Kapitalmarkt zu finden – sofern alle Akteure ihre Hausaufgaben machen.
In diesem Sinne: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – und Regulierung ist alternativlos.
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